Warum ich sie hasse und sie mich doch viel mehr prägt, als mir lieb ist

Kennst du die “perfekte Mutter”?

Schon in der Schwangerschaft begegnet sie uns und sagt lächelnd: “Ich bin ja schwanger und nicht krank”, während sie sich gesund ernährt, joggen geht und Kinder, Job, Haushalt und Ehrenamt wuppt, als wäre nichts. Sie bringt ihr Kind in einer “natürlichen” Geburt möglichst ohne Schmerzmittel zur Welt. Kaum Zuhause empfängt sie schon geschminkt und mit ordentlichem Haar Besuch. Nach wenigen Tagen schmeißt sie den Familienalltag wieder mit links und alles ist wie zuvor, nur dass noch ein Kind (mehr) dabei ist. Die perfekte Mutter geht ihrer Berufung nach, je nach Lebensphilosophie als Hausfrau und Mutter oder im Berufsleben. Das Haus ist immer sauber, die Kleidung gebügelt, die Familie glücklich. Die perfekte Mutter organisiert wahlweise die tollsten Aktivitäten für die Kinder oder die neusten Projekte im Job (oder sogar beides),  während sie ihre ehrenamtlichen Aufgaben wieder aufnimmt und in alle dem natürlich genauso belastbar und leistungsfähig ist wie zuvor.

Eigentlich belächeln wir solche Vorstellungen, oder? Wir wissen natürlich, dass das keiner wirklich alles schaffen kann. Wir wollen uns ja eigentlich auflehnen gegen unrealistische Rollenbilder, nicht umsonst wird auf Instagram der Hashtag #fürmehrrealitätaufinstagram gefeiert. Und trotzdem ist dieses Bild der perfekten Mutter in den meisten von uns tiefer verwurzelt, als wir wahrhaben wollen. Woran liegt das?

Drei Gründe, warum sie wir sie nicht loswerden:

1. Das Familienbild unserer Gesellschaft

Unsere Gesellschaft transportiert ein Familienbild, das ohne diese perfekte Mutter gar nicht funktionieren würde! In den letzten Jahren wurden viele Angebote geschaffen wie Elterngeld, Krippenausbau und Homeoffice-Möglichkeiten. Was ein guter Anfang ist, wird nur leider oft als vollständige Lösung verkauft und suggeriert, dass jetzt alle Voraussetzungen geschaffen sind, dass Familie und Beruf für jede Mutter unter einen Hut zu bringen sind. “Die Angebote sind da, du musst sie nur nutzen!” scheint die Botschaft an Mütter zu sein. Dabei wird vergessen, dass es auch von anderen Ressourcen abhängt. In der Realität ist stabiler beruflicher Erfolg nur für die Mutter erreichbar, die drei Tage die Woche die Oma zur Hilfe hat, die genau wie ihre Kinder nie krank wird und deren Partner im klassischen “9 to 5”-Job zuhause die Hälfte von Haushalt und Care-Arbeit übernimmt und so viel finanzielle Ressourcen beisteuert, dass sie ihre Stellenauswahl ohne Druck angehen kann.

Erziehungswissenschaftlerin und Familienberaterin Daniela Albert hat sich in dem Artikel “Mütter in der Krise” damit befasst, was diese Entwicklung mit Müttern macht, nicht erst aber besonders seit der Pandemie. Und sie bringt es so auf den Punkt: “Ich finde ihn [den Schmerzpunkt] bei meinen Klientinnen oft … an der Vorstellung davon, wie eine gute Mutter zu sein hat. Und an dem bohrenden Gefühl, genau daran kläglich zu scheitern. Eben nicht das zu sein, was wir alle so gern wären – eine gute Mutter! Dieses Gefühl ist grausam. Es sitzt in fast jeder von uns Müttern. Viel zu lange versuchen wir es zu kaschieren, es wegzulächeln, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Doch dadurch wird es nicht besser… Und das Schlimmste: … Es gibt kaum eine, die überhaupt laut ausspricht, was schiefläuft. Denn tief in jeder einzelnen Mutter da draußen hat sich der toxische Gedanke eingenistet, dass es sich hierbei nicht um ein strukturelles, gesellschaftliches Problem handelt, sondern um persönliches Versagen.”

Manchmal, da frustriert mich unser Mangel an Ressourcen, grade wenn ich wie gerade im Bewerbungsprozess stecke und überall nur rückgemeldet bekomme, dass ich flexibler sein müsste. Aber in meinen Jahren als Krippen-Erzieherin in der Großstadt habe ich auch genug Eltern gesehen, die ihre Urlaubstage für die Krankentage der Kinder geopfert haben, den Stellenumfang wieder reduziert haben und mit schlechtem Gewissen kranke Kinder in die KiTa gebracht haben, um mir da keine Illusion oder einen Druck zu machen. Bei diesem Thema bin ich so gut wie immun gegen die “perfekte Mutter”.

Mich erwischt sie mich immer wieder auf einem ganz anderen Gebiet:

2. Der Wunsch, es besser zu machen

Wenn es darum geht, den Alltag für mein Kind möglichst gut zu gestalten, da wäre ich gerne die “perfekte Mutter”! Ich glaube der Wunsch, es noch besser zu machen und unseren Kindern ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich bestmöglich entfalten, gesund und glücklich aufwachsen können, liegt tief in uns allen. Und genau dort setzen viele Mama-Themen an. In Büchern, Podcasts und Onlinekursen können wir lernen, wie wir diesem Ziel näher kommen. Wie wir besser erziehen können, besseres Zeitmanagement finden, den Haushalt ordentlicher strukturieren und nachhaltiger leben können. Alles zum Wohl unserer Kinder. Und das sind ja erstmal gute Ziele! Es ist toll, zu einem guten Schlafrhythmus zu finden. Jeden Konflikte ohne Schreien zu lösen. Jeden Tag Zeit für gemeinsame Aktivitäten zu haben. Plastikmüll zu vermeiden, Lebensmittel nur Bio und regional zu kaufen und Pflegeprodukte zu verwenden, die frei von allen Schadstoffen sind. Gar keine Frage. Wer möchte das nicht? 

Aber die Fülle der Optimierungs-Möglichkeiten ist so groß, dass es unmöglich ist, sie alle zu erreichen! Das alles richtig machen kann nur die “perfekte Mutter”! Und an dieser Stelle passiert es mir doch: ich will sein wie sie, weil sie mich an meinen tiefsten Wünschen packt: Meinem Kind das Beste zu ermöglichen. Ich will es doch auch richtig machen! Oder ehrlicher gesagt: Ich will nicht versagen. Das Schuldgefühl wird in der Werbung für viele dieser Optimierungsmöglichkeiten nämlich schon vorab gratis mitgeliefert. Der Kurs zur Erziehung ohne Schreien malt erst mal ein beängstigendes Bild davon, was zu viel Schreien bei meinem Kind bewirkt. Und die Pflegeprodukte ohne Mikroplastik erzählen mir erst einmal, welche Schadstoffe ich meinem Kind mit den Produkten aus der Drogerie zumute. Und obwohl ich eigentlich weiß, dass keine Mutter der Welt alles gleichzeitig richtig machen kann (dass es übrigens auch keine unserer Mütter konnte und wir trotzdem ganz gut groß geworden sind!), plagt mich manchmal das schlechte Gewissen! Die Selbstvorwürfe, dass ich es nicht schaffe, die perfekte Mutter zu sein. Dann finde ich mich genau in dem Gedankengang wieder, den Daniela Albert beschreibt: Dem toxischen Gedanken, dass es sich hierbei nicht um ein strukturelles, gesellschaftliches Problem handelt, sondern um persönliches Versagen. 

3. Wir wollen nicht wirklich mehr Realität

Ein Stück weit halten wir dieses System auch selbst aufrecht! Wir fordern zwar #mehrrealitätaufinstagramm, aber bitte nur im Rahmen unserer Komfortzone. Wir wollen eigentlich nur #einBISSCHENmehrrealtität. Wir wollen die FAST perfekte Mutter sein, die mit ein paar sympatischen kleinen Ecken und Kanten. Wir wollen ehrlich zeigen, dass nicht alles mit links zu schaffen ist, aber trotzdem als leistungsfähig wahrgenommen werden, als engagiert, attraktiv und pädagogisch korrekt. Oder zumindest nicht als schwach und überfordert. Wir wollen uns ohne Hochglanz und Filter zeigen, aber bitte nicht so ehrlich ausgeleuchtet wie eine H&M-Umkleidekabine. Dabei brauchen wir genau das: ehrliche Räume, wo unsere Dellen und unsere Überforderung sichtbar werden dürfen.

Drei Wege für ein neues Bild von Mutterschaft:

1. Ehrliche Räume schaffen

Ich glaube, jeder von uns kann dazu beitragen, solche Räume zu schaffen! Mit der Ehrlichkeit einer Umkleidekabine aber der Athmosphäre eines Lieblingscafés. Es gibt mutige Frauen wie Clarissa Stamm, die das für eine breite Öffentlichkeit schaffen. Im Podcast “The Missionary and his Friend” erzählt sie, wie sie nach Papua-Neuguinea ausreisten und nach wenigen Tagen im Einsatz wieder nach Hause fliegen und sich beruflich umorientieren mussten, weil ihre Wochenbett-Depression ein Weiterarbeiten unmöglich machte. Was für ein Segen für Mütter, die mitten in einer Wochenbett-Depression stecken, wenn andere aufstehen und sich sichtbar machen! Wenn Mütter den Mut haben, sich den Fragen und Kommentaren zu stellen und anderen Betroffenen damit zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass es nichts mit persönlichem Unvermögen zu tun hat!

Nicht jede von uns (mich eingeschlossen) hat den Mut für die große Öffentlichkeit. Aber wir können der Freundin, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat, sagen, wie schwer uns das Wochenbett gefallen ist und anbieten, dass wir für sie da sind, wenn es ihr auch so gehen sollte. Wir können im Eltern-Kind-Café erzählen, dass die Trennungen bei der Kindergarten-Eingewöhnung uns eben doch an die Nieren gehen. Und wenn nach dem Gottesdienst jemand fragt wie es uns geht, können wir auch mal sagen, dass wir diese Woche zwischen Kindern, Ehrenamt, Job und Haushalt an unsere Grenzen gekommen sind und für Unterstützung dankbar wären. Wir können einen Anfang machen und damit eine Athmosphäre schaffen, in der andere sich trauen, auch offen zu sein.

2. An unseren Ansprüchen arbeiten

Der schwierigste Punkt zur Veränderung liegt wahrscheinlich darin, an unserer eigenen Einstellung zu arbeiten, uns selbst und anderen Gegenüber. Ich glaube, es ist unheimlich hilfreich, sich bewusst zu machen, an welchen Stellen uns die “perfekte” Mutter triggert. Bei mir sind es die oben erwähnten Punkte: Der Wunsch es besser zu machen und gelegentlich auch der berufliche Aspekt. Bei dir können das nochmal ganz andere Themen sein. Wo scheiterst du an deinen eigenen Ansprüchen? Gehe den Themen mal auf den Grund – was davon ist tatsächlich wichtig und wo findest du die perfekte Mutter wieder? Wo kannst du deine Ziele und Ansprüche von ihr lösen und sie an deine Lebensumstände und Persönlichkeit anpassen? In meinem Buch “Meilensteine im 1. Lebensjahr” habe ich dazu ein paar Themen aufgegriffen und vertiefende Fragen vorbereitet, die Müttern (vor allem beim ersten Kind) bei den klassischen Themen wie Schlafen, Stillen, Elternzeit (=Beruf) bei solchen Reflexionen helfen können. 

Herausfordernd kann es auch sein, den Müttern, die zu ihren Grenzen stehen, den Rücken zu stärken. Vor allem dann, wenn das bedeutet, dass in unserem Arbeitsbereich in Gemeinde, Verein oder Kindergarten Mitarbeiter fehlen werden, weil eine Mutter ihr Ehrenamt abgibt. Da ist oft doch eine Schmerzgrenze erreicht, weil wir die anfallende Arbeit im Zweifelsfall abfangen müssen. Oder aber Gruppen und Kreise reduziert werden müssen. Jede Mutter (und übrigens auch jede andere Ehrenamtliche) die für sich selbst einsteht, ist ein Schritt in die richtige Richtung! Wie wir darauf reagieren, sendet ein Signal an alle anderen, denen es ähnlich geht. Es entscheidet darüber, ob sie weiter über ihre Grenzen gehen oder ehrlich mit uns sind. Ich glaube, auch für unsere Gemeinden und Vereine ist es gesünder, mit weniger Angeboten aber gesunden und motivierten Mitarbeitern zu arbeiten. Und letzlich gewinnen wir vielleicht sogar mehr Mitarbeiter, wenn neue Teilehmer sehen, dass man sich nicht rechtfertigen und verausgaben muss, wenn es einem mal zu viel wird!

3. Perfektion neu definieren

Und zum Schluß: Lasst uns Perfektion neu definieren! Wenn das Streben nach Perfektion, nach dem Besten, so tief in uns drin steckt, hat es vielleicht auch einen Grund: Es gibt da jemanden, der uns perfekt findet! Der die ganze Pracht der Erde und Naturgewalten mit “gut” bewertet und den Stempel “sehr gut” für uns reserviert hat! Und vielleicht ist auch wichtiger, was er von uns denkt als sonstwer. Vielleicht hilft es uns, uns ein bisschen mehr durch seine Augen zu sehen.

Gott liebt dich, so wie du dein Kind liebst. Natürlich kennt er deine Ecken und Kanten, die Dellen und die Punkte, an denen du versagst. Und trotzdem liebt er dich so sehr, dass er sein eigenes Leben für dich gibt. Dich selbst mit seinen Augen zu sehen heißt, das Potenzial zu sehen, das er in dich hineingelegt hat, die Schönheit, Schöpfungskraft und Ebenbildlichkeit. Was kannst du gut? Was gelingt dir? Wo sind deine Herzensthemen? 

Kennst du das Beispiel von Glücks-Marmeladenglas? Man sammelt Glücksmomente auf Zetteln und füllt damit ein Marmeladenglas. An einem Punkt öffnet man das Glas dann und erinnert sich an all die schönen Momente zurück. Auf den letzten Seiten des Meilensteinbuchs habe ich die Idee aufgebracht, einfach mal Lob an sich als Mama zu sammeln. Lauter Dinge, die dich und mich zur perfekten Mutter machen, genau so wie wir sind. Lasst uns doch ein Glas füllen mit Komplimenten an uns selbst: wie wir unsere Stärken einsetzen, mit unseren Schwächen gut umgehen, im Rahmen unserer Möglichkeiten Ziele erreichen. Lasst uns das selbst notieren und auch die Worte auf schreiben, die andere über uns gesagt haben. Und lasst uns die Gläser von anderen füllen. Lasst uns anderen Müttern mehr Komplimente machen. Auch denen, die ganz anders sind als wir. Weil du und ich und die anderen Mütter, in Gottes Augen alle geliebt und “sehr gut” sind. Jede perfekt auf ihre Art.